Pastor mit Bücherschatz
KATLENBURG. "Die Bücher sahen aus, als wären sie von einem Miststreuer ausgespuckt worden". So beschreibt Martin Weskott, Pastor in Katlenburg, das Bild, welches sich ihm im Mai 1991 in Leipzig bot. Zu Tausenden sollten druckfrische Bücher auf dem Hof der "Sekundärrohstofferfassung" in Plottendorf bei Leipzig verrotten.
"Durch dieses Zeitungsbild sind wir auf die Bücher aufmerksam geworden", sagt Weskott. Die Bücher, unter denen sind deutsche Klassiker, Werke von Goethe und Schiller sowie illustrierte Kinderbücher befanden, sollten entsorgt werden, da der DDR-Lesestoff nicht mehr gefragt war.
Die Verleger sind auf den hohen Auflagen aus DDR-Zeiten sitzen geblieben.
"Millionen dieser Bücher sollten zum Beispiel in den Tagebau gekippt werden. Andere lagen zu Tausenden in der Nähe von Landstraßen. Zum einen druckfrisch verpackt, aber auch auf Paletten oder wild verstreut", erklärt Weskott.
Um die Bücher nach Katlenburg zu transportieren, sind Martin Weskott und Mitglieder der Kirchengemeinde gemeinsam nach Leipzig gefahren, um die Bücher einzuladen und vor ihrer Entsorgung zu bewahren. Als Transportmittel kam dabei unter anderem ein Laster von der örtlichen Getränkefabrik zum Einsatz. "Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer aus der Kirchengemeinde wär das alles nicht möglich gewesen", lobt der Bücherpastor.
Diese Rettungsaktionen haben sich rumgesprochen. Seitdem stockt Weskott die Büchersammlung mit Altbeständen von Buchhandlungen oder aus Privatbeständen auf.
"Circa ein Drittel der Bibliotheken in der ehemaligen DDR haben seit 1991 geschlossen. Viele Bücher sollen einfach eingestampft werden", bedauert Weskott.
Inzwischen umfasst die Sammlung 880000 Bücher, die unter anderem im Magazingebäude auf dem Burgberg gesammelt werden.
"Begonnen haben wir mit DDR-Literatur, doch unser Spektrum hat sich erweitert. Es ist eine Alternative zur Wegwerfgesellschaft".
In dem 850 Jahre altem Gebäude stapeln sich die Bücher teilweise bis zur Decke. Besonders stolz ist Weskott auf die rege Beteiligung an der Reihe "Müll-Literaten lesen", bei der bis Mai 2003 150 Autoren Lesungen in Katlenburg gehalten haben.
Auch ein Wisschenschaftler vom Max-Planck-Institut profitierte von der umfassenden Büchersammlung. Monatelang wälzte der Physiker ohne großen Erfolg die Fachliteratur. Fündig wurde er dann bei Martin Weskott. Mehr als hundert Bücher waren brauchbar für Materialkombinationen, die für den Bau eines Messinstrumentes geeignet waren. Eingesetzt wurde es in der Raumsonde Cassini. "Das war ein riesen Erfolg", sagt Weskott stolz.
Doch nicht nur für Wissenschaftler oder Autoren steht dieser Bücherschatz bereit. Das Magazingebäude kann jeden Sonntag von 10.30 bis 12.30 Uhr durchgestöbert werden. Der Träger ist die Gesellschaft zur Förderung von Kultur und Literatur.
Erlöse aus dem Verkauf der Bücher wurden von Weskott an die Hilfsaktion Brot für die Welt weitergeleitet. Das Projekt ist durch die Spende in der Lage, Straßenkindern ein warmes Essen zu ermöglichen oder einen Ausbildungsplatz bereit zu stellen.
Eine Liste über den Gesamtbestand der Bücher hat Martin Weskott nicht. "Das hat man im Kopf".